VORTRAG & GET TOGETHER: Als Zahnarzt auf der Insel Borneo– Ein kritischer Rückblick
Mit Dr. Rolf Schlömer
Nach einer kurzen Einführung in Geschichte und Geografie der Region und der jüngeren Entstehungsgeschichte des Staates Malaysia ging der Referent auf das entwicklungspolitische Klima in der Bundesrepublik in der 1970er Jahren ein. Dieses war gekennzeichnet von dem beginnenden Wandel von einer auf die Exportinteressen der deutschen Industrie ausgerichteten Entwicklungspolitik hin zu einer Strategie der Hilfe zur Selbsthilfe und Fokussierung auf die ärmeren Länder des globalen Südens. Der Referent berichtete, unter welchen Bedingungen er von 1973 bis 1976 als Zahnarzt in einem kleinen Krankenhaus des ostmalaysischen Bundesstaates Sarawak als Zahnarzt tätig war und mit einer transportablen Zahnarztausrüstung und Langboot die Anwohner zweier Flussläufe zahnmedizinisch betreute. Oft reiste er zusammen mit Gesundheitsteams, die aus Hebammen, behandelnd tätigen Krankenpflegern und Technikern für den Wasserleitungs- und Toilettenbau bestanden. Aus zahnärztlichen Sicht stellte damals der intensive Betelnusskonsum der stimulierenden Areca-Nuss, die zusammen mit einem Palmblatt und Kalk gekaut wurde, ein großes Problem dar. Die nach längerem Gebrauch mit einer dicken rötlichen Kalkschicht überzogenen Zähne verursachten Entzündungen und führten schließlich zum vorzeitigen Zahnverlust. Die traditionellen Methoden der Zahnreinigung reichten nicht aus, den Verlust zu verhindern und Zahnersatz, dessen Herstellung ein Labor erfordert, war für die Menschen in ländlichen Regionen nicht zugänglich, geschweige denn bezahlbar. Erfreulich war, dass in den 1970er Jahren die Zahnkaries bei Kindern und Jugendliche keine Rolle spielte, da Zucker rar war und regelmäßiger Süßigkeiten-Konsum in ländlichen Regionen damals noch unbekannt war. Umso schockierender, dass unser Referent bei einem Besuch derselben Region 50 Jahre später im Juni 2023 kaum noch ein kariesfreies Kind gesehen hat. – Diese Beobachtung leitete über zur Schilderung der Veränderungen der Ernährungsgewohnheiten, die mit der Verbreitung industriell hergestellter extrem zucker- und fetthaltiger und nährstoffreduzierter Lebensmittel auch das Krankheitsspektrum verändert haben. Infektionskrankheiten sind infolge verbesserter hygienischer Bedingungen und Bildung weniger geworden, dafür bestimmen aber jetzt Diabetes, Rheuma, Gicht, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Übergewicht das Krankheitsgeschehen. Versorgten 1973 nur ca. 75 Zahnärzte die damals 1,2 Mio. zählende Bevölkerung, so betreuen 2023 über 500 Zahnärzte die inzwischen 2,9 Mio. Menschen. Was statistisch wie eine Überversorgung aussieht, berücksichtigt jedoch nicht die ungünstige regionale Verteilung. Wie in unserem Land sind inzwischen auch in Sarawak die Städte überversorgt und moderne Zahnarztpraxen werben um Patienten, wohingegen die Landbevölkerung kaum Zugang zu zahnmedizinischer Versorgung hat. Hohe Fahrtkosten und unzureichende öffentliche Verkehrsmittel schließen die Landbewohner praktisch von der Gesundheitsversorgung ab.
Weltkulturen Labor
Getäfelter Raum, Schaumainkai 37