ETHNOLOGIE & KRISE

14.04.2020

Dr. Eva Ch. Raabe über Museum und Ethnologie in Zeiten der Krise


hr2-kultur Kulturcafé, Das Kulturmagazin am Nachmittag u.a. mit Dr. Eva Raabe, Moderation Alf Haubitz, Sendung vom 9.4.2020, 16:15 Uhr


Liebe Freund*innen des Weltkulturen Museums,

In den Medien melden sich Psychologie und Soziologie zu Wort, um das menschliche Verhalten während der Corona-Pandemie zu erklären. Vieles, was uns jetzt bewegt, ist aber auch aus ethnologischer Sicht interessant. Aufgrund der zahlreichen Einzelstudien unterschiedlicher Bevölkerungs- und Kulturgruppen wurde vermehrt die Kritik laut, dass die Ethnologie sich auf die kulturellen Unterschiede menschlicher Gemeinschaften fokussiert und damit deren Ungleichheit betont. Diese Kritik verkennt jedoch den Kerninhalt des Fachs. Letztlich geht es auch beim Studium lokaler Kulturen und kleiner Gruppen um den Vergleich, der im kulturell Unterschiedlichen allgemein Menschliches finden lässt. Ein Blick auf das Kaufverhalten in der Krise veranschaulicht das: In allen Ländern wurden besonders zu Beginn der Pandemie-Maßnahmen sogenannte Hamsterkäufe getätigt. Ob nun aber Toilettenpapier, Nudeln, Rotwein oder Marihuana als besonders begehrenswert angesehen werden, wird von Lebensgewohnheiten und Alltagskultur in den unterschiedlichen Ländern bestimmt. Was alle gemeinsam haben, ist der Drang, selbst die Kontrolle über die eigene Versorgung zu bewahren.

Rituale als Orientierungspunkte

Den Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen fallen zurzeit auch religiöse Feiern zum Opfer, die auch in einer säkularen Welt immer noch eine große Bedeutung für den Zusammenhalt von Gemeinschaft haben. Ein zentrales Thema in der Ethnologie sind Übergangsrituale – Geburt, Pubertät, Heirat und Tod sind Veränderungen im menschlichen Leben, die überall, auch in den industrialisierten Gesellschaften von Ritualen begleitet werden. Das Osterfest und die damit verbundenen Feier- und Ferientage markieren nicht nur für bekennende Christen einen wichtigen Wechsel im Jahresablauf. Wenn jetzt Kommunion und Konfirmation verschoben werden, wenn bei Hochzeiten oder Beerdigung keine großen Feiern mehr stattfinden dürfen oder Familien sich zu Ostern nicht mehr treffen können, entfallen wichtige Orientierungspunkte im Leben. Die Menschen können nicht mehr zusammenkommen, um sich gegenseitig des Fortbestands der gewohnten Welt zu versichern. Die Veränderung im Leben erscheint umso bedrohlicher, je weniger sie mit den vertrauten Ritualen begleitet werden kann.

Auswirkungen auf das Weltkulturen Museum

Auch die Mitarbeiter*innen des Weltkulturen Museums müssen gerade mit vielen Ungewissheiten umgehen. Wir wissen noch nicht, ob alle unsere Veranstaltungen wie geplant stattfinden können. Aufgrund von Kontaktbeschränkungen und dadurch erschwerten Vorbereitungen mussten wir die Eröffnung der Ausstellung „SW5Y: 5 Jahre zivile Seenotrettung“ auf den 4. Juni verschieben und können zu diesem Zeitpunkt noch nicht sagen, ob die Aktionstage zum Thema Migration tatsächlich stattfinden werden. Da wir jedoch schon vor Beginn der Corona-Krise beschlossen haben, die Ausstellung „WELTENBEWEGEND. Migration macht Geschichten“ bis zum 31. Januar 2021 zu verlängern, werden wir uns bemühen, ausfallende Begleitveranstaltungen im Herbst nachzuholen. Als Weltkulturen Museum haben wir Veranstaltungspartner in der ganzen Welt. Selbst wenn sich in Deutschland die Reisebeschränkungen wieder lockern sollten, kann doch niemand voraussehen, wie sich die Krise in Ländern wie Indonesien oder Kanada noch auswirken wird.

„Weltkulturen News“: Engagement im Fokus

Gerade in der Zeit der Museumsschließung wollen wir einen Einblick in unsere Arbeit hinter den Kulissen vermitteln. Darum erscheint nun die zweite Ausgabe unserer „Weltkulturen News“, so wie sie bereits bei Redaktionsschluss vor Beginn der Corona-Krise fertig geplant vorlag. Es geht darin um persönliches, soziales und politisches Engagement, was ja in Krisenzeiten besonders wichtig ist. Zudem werden Themen angeschnitten, die gerade in den Hintergrund treten, obwohl sie nach wie vor wichtig sind – z.B. die Hilfe für Geflüchtete oder der Einsatz für die Umwelt. Mit der ersten Ausgabe haben wir ein neues Format ins Leben gerufen, mit der zweiten schaffen wir nun Gewissheit – ja es geht weiter.

Digital und Analog

Im Moment setzen viele Museen auf digitale Angebote und auch das Weltkulturen Museum bietet auf seiner Website Filme, Podcasts sowie ein Kochbuch in digitalem Format und stellt auch die „Weltkulturen News“ online zur Verfügung. Trotzdem finden wir, dass unsere analoge Zeitungsversion unschlagbar ist: Sie fühlen und riechen das Papier und hören das Rascheln beim Umblättern. Anders als in den Online-Ausgaben von Zeitungen gibt es keine störenden Werbeeinblendungen oder durchlaufende Newsticker. Sie können sich ganz konzentriert in die Beiträge versenken und das Lesen genießen. Vielleicht können wir Ihnen damit auch etwas Ablenkung in der Krise bieten.

Wir wünschen allen viel Spaß beim Lesen, vor allem aber Gesundheit und Zuversicht.

Mit den besten Grüßen

Dr. Eva Ch. Raabe,
Leitung Weltkulturen Museum


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