ANLASS ZUR HOFFNUNG

Laura Heidemann über aktivistische Transformationen als Heilungsprozesse

Wie sieht eine „heile“ Welt aus? Wie wäre das Leben in einer Welt ohne Ausbeutung, Gewalt oder Ungleichheit? Kann solch ein Zustand überhaupt erreicht werden? Welche Wege müssten hierfür eingeschlagen werden? Heilungs- und Transformationsprozesse sind nicht ausschließlich an physische oder psychische Krisen einzelner Individuen gebunden, sondern stehen oft auch in einem größeren Kontext. So geraten unser Planet und wir, die darauf lebenden Bewohner*innen, immer wieder in neue Missstände und Ungleichgewichte. Es liegt an uns, solche Herausforderungen zu bewältigen und nach einem Gleichgewicht zu streben, das kollektives healing ermöglicht. Während manche Menschen allgegenwärtigen Krisen rat- und hoffnungslos, überwältigt oder gar ignorant gegenüberstehen, wächst die Zahl der Individuen und Gruppen, die aktiv handeln, sich der aktuellen Missstände annehmen und somit Veränderungen ermöglichen, durch Aktivist*innen stetig an.

Doch was genau bedeutet Aktivismus und inwiefern trägt er zu Heilungsprozessen bei? Mit dieser Frage, die mich seit Beginn meines Volontariats fasziniert, habe ich mich intensiv beschäftigt. Nach eingehender Recherche und Kontaktaufnahme zu Aktivist*innen verstehe ich Aktivismus als selbstermächtigendes Handeln, um Ziele zu verfolgen, die zu einer erhofften besseren Zukunft führen. Er ist dabei nicht als einzelne Handlung oder einzelner Gedanke anzusehen, sondern als kontinuierlicher, dynamischer Prozess, der Wandel bewirkt. In den letzten Jahrzehnten hat Indigenes Wissen über die wechselseitige Beziehung zwischen Menschen, Tieren, Pflanzen, Geistern und Göttern zunehmend an Bedeutung gewonnen. Während in der westlichen Vorstellung Natur und Umwelt überwiegend als (aus-)zu nutzende Ressourcen angesehen werden, tragen Indigene Gruppen durch ihre nachhaltige Lebensweise besonders zum Schutz der Biodiversität bei. Diese basiert auf der Vorstellung, dass wir mit allen Lebewesen in einer wechselseitig vernetzten Gemeinschaft leben. Gleichzeitig sind in der Regel ausgerechnet die Lebensräume von Indigenen durch die systematische Zerstörung der Ökosysteme bedroht. Die Krisenverantwortung darf nicht ausschließlich auf Indigenen Gemeinschaften lasten, sondern muss zwingend global geteilt werden.


Ausstellungsansicht „healing. Leben im Gleichgewicht“


Im Rahmen des internationalen Projekts „healing. Leben im Gleichgewicht“ ist es uns wichtig, aktivistische Stimmen zu Wort kommen zu lassen. So präsentieren wir in der Ausstellung Zitate Indigener Aktivist*innen und stellen in der gleichnamigen Publikation Aktivist*innen vor, die keine Indigene Gruppe repräsentieren, aber ähnlich wie diese ein gutes Zusammenleben anstreben. Bei den vorbereitenden Arbeiten zu dieser Begleitpublikation suchte ich nach Aktivist*innen aus unterschiedlichen Regionen der Welt und mit diversen Anliegen. Deren globale Vernetzung über Social Media erleichterte mir die Recherche. Ich stieß auf zahlreiche engagierte Personen mit herausragenden Projekten und Missionen, deren Motivation und Zielstrebigkeit beeindrucken und inspirieren. Trotz der immensen Vielfalt zu bekämpfender Probleme geben sie Anlass zur Hoffnung. Die drei Akteur*innen, die in unserer Publikation zu Wort kommen, beantworten darin jeweils drei Fragen zu ihrem aktivistischen Engagement. Jede*r von ihnen bekämpft unterschiedliche Missstände, jedoch weist die spezifische Vorstellung von healing bei allen dreien ähnliche Ansätze auf. Nachstehend ein kurzer Einblick in ihre beeindruckenden Projekte:



Foto: Fenton Lutunatabua

Als Bewohner der Republik Fidschi wurde Fenton Lutunatabua schon in früher Kindheit von seinem Großvater vermittelt, dass der Ozean ihn und seine Nachkommen versorgen werde, wie er es auch für seine Vorfahren getan habe. Lutunatabua beobachtet in den letzten Jahrzehnten allerdings eine gegenteilige Entwicklung: Durch die menschengemachte Ausbeutung und Verschmutzung entwickelt sich das Meer zu einer immer größeren Gefahr. Die Inseln sind häufiger von Überschwemmungen betroffen, die nicht allein die Ernährungssicherheit und Süßwasserversorgung, sondern auch die Bewohner*innen unmittelbar bedrohen.

Um seine Heimat zu retten und den nachkommenden Generationen einen gesunden Planeten zu hinterlassen, setzt sich Lutunatabua seit 2009 gegen die Ursachen des Klimawandels und seine Auswirkungen auf die Ozeane ein. Zunächst engagierte er sich als Repräsentant Fidschis bei Greenpeace. Seit 2013 arbeitet er bei der gemeinnützigen Umweltorganisation 350.org, wo er aktuell als Regionalleiter tätig ist. Außerdem co-organisiert Lutunatabua die umweltaktivistische Gruppe Pacific Climate Warriors. Sein Ziel ist die Umstellung der Energiesysteme hin zu komplett erneuerbaren und sozial gerechten Energien: „Wir müssen dafür sorgen, dass der politische Wille vorhanden ist, sich von allen Dingen abzuwenden, die diesem Planeten schaden, und dass der Übergang dazu unverzüglich eingeleitet wird“.

Angeline Makore kommt aus Simbabwe und bekämpft geschlechtsbezogene Benachteiligung und geschlechtsspezifische Gewalt, die sie sowohl als lokales als auch als globales Problem erachtet. Als Aktivistin nimmt sie sich dieses Missstandes ganzheitlich an und erstrebt eine Veränderung der Umstände: „Ich wünsche mir eine Gesellschaft, in der es Mädchen und Frauen wirtschaftlich, emotional und sozial gut geht“.


Stop genderbased violence, Foto: Angeline Makore

Makore gründete 2014 die gemeinnützige Stiftung Spark R.E.A.D., die Mädchen und Frauen in den Bereichen Gesundheit, Sicherheit und Bildung unterstützt und fördert. In Bezug auf Gesundheitsfragen werden verschiedene Aufklärungsprogramme, beispielsweise zu Schwangerschaften sowie Hygiene und Verhütung, angeboten. Außerdem wird Frauen und Kindern mithilfe von Notunterkünften, medizinischer Versorgung sowie psychologischer und juristischer Hilfe Schutz vor allen Formen von Gewalt geboten. Mit der zusätzlichen Gründung von Mwedzi Social Enterprise im Jahr 2016 ermöglicht Makore Mädchen und Frauen Ausbildungen im Bereich der Unternehmensbildung für ökonomische Unabhängigkeit. Neben den Projekten Makores bedarf es laut der Aktivistin vor allem struktureller Veränderungen, wie beispielsweise strengere Gesetze gegen diskriminierende kulturelle und religiöse Praktiken. „[Es] besteht großer Handlungsbedarf an systematischen Veränderungen, um Ungleichheiten zu reduzieren und zu beseitigen, was meiner Meinung nach letztendlich der Beginn für healing ist“.

Die grünen Landschaften, die Peter Westerveld in seiner Kindheit in Tansania kennengelernt hatte, sind in den letzten Jahrzehnten als Folge massiver Abholzung verschwunden. Der Künstler und Entwickler begann, diese mithilfe von nachhaltigen Techniken der Renaturierung wiederherzustellen. 2009 traf er auf den niederländischen Marketingdirektor Dennis Karpes, der bereits mehrere gemeinnützige Projekte und Kampagnen geleitet hatte. Dieser war von den ersten Resultaten der Wiederaufforstung begeistert. Aus seiner Vision einer kollektiven Bewegung zur Wiederherstellung von Landschaften heraus gründeten Westerveld und Karpes die internationale gemeinnützige Organisation Justdiggit mit Sitz in Amsterdam. Mittlerweile ist sie Teil der Global Evergreening Alliance, der Green up to cool down-Kampagne sowie des UN-Environment-Programme.


Credits: Tony Wild & Justdiggit

Das Ziel der internationalen gemeinnützigen Organisation ist es, Afrika mithilfe naturbasierter Methoden innerhalb der nächsten zehn Jahre wieder zu begrünen. Der Planet soll somit „abgekühlt“ und dem bedrohlichen Klimawandel Einhalt geboten werden: „Die Wiederherstellung der Vegetation hat unzählige positive Auswirkungen auf Klima, Umwelt, Artenvielfalt und Menschen. Sie ist der Schlüssel zur Heilung unseres Planeten und zur Rückbesinnung auf unsere Rolle als Bewahrer*innen dieser Erde“. Justdiggit hat Projekte in Tansania, Kenia, Äthiopien und Uganda und arbeitet dort mit lokalen Subsistenzbauern sowie mit nationalen und internationalen Organisationen zusammen. Mit Medienkampagnen, Kommunikation, mobilen Technologien und bekannten Partner*innen macht die Organisation gleichzeitig weltweit auf ihre Bewegung und ihre Botschaft aufmerksam.

Die Aktivist*innen rufen dazu auf, gemeinsam tätig zu werden, damit Wunden der gesellschaftlichen und ökologischen Ungleichheit, Ungerechtigkeit sowie Ausbeutung geheilt werden können. Ihr Ziel ist stets eine positive Transformation der Umstände. Durch die Beiträge der Aktivist*innen zieht sich wie ein roter Faden eine Vorstellung von healing, die sich durch eine kollektive Verantwortungsübernahme auszeichnet. Dazu gehört die gemeinsame Abschaffung der Schadensursache sowie eine Gestaltung des zukünftigen Miteinanders, bei der ein soziales und globales Zusammenleben angestrebt wird. Dabei wird von einer ganzheitlichen Verbundenheit untereinander und mit dem Planeten ausgegangen, die es zu berücksichtigen gilt. Erst durch die Heilung anderer integraler Teile des Gesamtnetzwerks können auch wir selbst gesund und glücklich leben. Denn wir alle sind von gesellschaftlichen und ökologischen Missständen betroffen, unabhängig davon, ob wir ihre Auswirkungen bereits selbst beobachten bzw. erleben oder nicht.

 

Biografie
Laura Heidemann studierte Altamerikanistik/Ethnologie und Medienwissenschaften an der Universität Bonn, der Pontificia Universidad Católica del Perú, Lima sowie an der Universität Freiburg. Seit 2021 ist sie wissenschaftliche Volontärin der Abteilung Amerika am Weltkulturen Museum sowie kuratorische Assistentin der Ausstellung „healing. Leben im Gleichgewicht“. 


Der Artikel erschien in der Weltkulturen News #7 / Power. Abonnieren Sie hier kostenfrei ihre Weltkulturen News.


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