FARBEN SEHEN UND FARBEN BENENNEN

Matthias Claudius Hofmann, Kustos der Abteilung Ozeanien und Hauptkurator der Ausstellung „Grüner Himmel, Blaues Gras. Farben ordnen Welten“ über die Beziehung von Farbwahrnehmung und Sprache und darüber, dass, wenn wir von Farben sprechen, oftmals mehr meinen, als wir mit bloßem Auge zu erkennen vermögen. 


Was ist eigentlich Farbe? Rein physikalisch betrachtet sehen wir Menschen alle das Gleiche. Wenn wir Farben sehen, so handelt es sich um einen durch das Auge und Gehirn vermittelten Sinneseindruck, der durch die spektralen Bestandteile des weißen Sonnenlichtes hervorgerufen wird. Die Farben entsprechen dabei den unterschiedlichen Wellenlängen des Lichtes und reichen im sichtbaren Spektrum von Tiefrot bis Blau-Violett.

Nun erklären uns die Naturwissenschaften zwar wie und was wir sehen, doch wie wir diese farbigen Eindrücke benennen, die wir wahrnehmen, in wie viele (und was für) Kategorien wir sie einteilen und welche Bedeutung wir diesen Farben zuschreiben, kann wiederum kulturabhängig ausgesprochen unterschiedlich sein. Denn bei Farbe handelt es sich nicht zuletzt auch um ein kulturelles Phänomen und je nach Kultur wird das gemeine Farbspektrum ganz verschieden geordnet.



Farbe ist also nicht unbedingt gleich Farbe. Demzufolge lässt sich ein Farbwort auch oft nicht ohne Weiteres in eine andere Sprache mit einem analogen Farbwort übersetzen, wie das z. B. beim deutschen Blau oder Grün in das englische „blue“, bzw. „green“ möglich ist. Darauf spielt auch der Titel unserer aktuellen Ausstellung „Grüner Himmel, Blaues Gras“ an – denn im Japanischen ist z. B. die Bedeutung des japanischen Wortes ao keineswegs identisch mit dem deutschen Farbwort „Blau“. Genauso wenig wie midori gleichbedeutend mit „Grün“ ist. Daher kann in der japanischen Dichtung auch durchaus die Rede vom „grünen Himmel“ und vom „blauen Gras“ sein – was unsere europäischen Sehgewohnheiten erst einmal auf den Kopf stellt 

Das richtet unser Augenmerk auf unsere Farb-Bezeichnungen, also die Farbwörter, mit denen Menschen in einer Sprache ihre Farbeindrücke benennen. Seit den späten 1960er Jahren beschäftigen sich Sprachwissenschaften und Ethnologie vermehrt mit der Beziehung von Farbe und Sprache. Im Zentrum des Interesses steht dabei vor allem wie viele Farbbegriffe es in einer Gesellschaft, bzw. in einer Sprache gibt und welche Farbbereiche diese Farbwörter umfassen.


Installation der Munsell-Farbskala als Mitmachstation in der Ausstellung. Foto: Peter Wolff

Als Referenzmodell für die Erhebung dient dabei bis heute das Munsell-Farbsystem, das um 1900 von dem amerikanischen Maler und Kunstlehrer Albert Henry Munsell entwickelt wurde und in dem erstmals Farben in einem dreidimensionalen Farbraum als mathematisch präzise Koordinaten nach Farbton, Sättigung und Helligkeit geordnet wurden. Mit einer Auswahl von 320 Farbkarten aus dem umfangreichen Munsell-System im Gepäck gingen die Forscher seit den 1960er Jahren ins Feld und hielten die Bezeichnungen ihrer Gesprächspartner für jeden einzelnen Farbton der Skala fest. Das Ergebnis ihrer Arbeit ermöglichte es, den mit einem Farbwort in einer Sprache bezeichneten Farbbereich präzise und anschaulich auf einer Skala abzubilden.

Allerdings stehen in dieser Forschungstradition vornehmlich abstrakte Farbwörter (in der Sprachwissenschaft spricht man dabei von „basic color terms“), die „reine“, bzw. abstrakte Farbeindrücke bezeichnen (z. B. Rot, Gelb und Blau; nicht jedoch Zinnober, Blond oder Türkis) im Zentrum des Interesses, womit allerdings jegliche materiellen aber auch kulturellen Bezüge eines Farbworts weitestgehend ignoriert werden. Für die Pioniere dieser Forschungsrichtung – Brent Berlin und Paul Kay – gibt es in einer Sprache hiernach maximal elf abstrakte Farbbegriffe, die in einer siebenstufigen, vorhersagbaren Reihenfolge auftreten. Sie gingen von der universellen Gültigkeit dieses Modells aus, in das Kulturen, bzw. ihre Sprachen aufgrund der Anzahl ihrer abstrakten Farbwörter eingeordnet werden können.

Es stellt sich allerdings die Frage (auch für uns, während der Vorbereitungen zur aktuellen Ausstellung), ob diese Munsell-Farbskala als vermeintlich objektives Messinstrument überhaupt geeignet ist, die Farbräume anderer Kulturen zu vermessen oder ob es nicht vielmehr selbst als Ausdruck einer westlichen Farbordnung angesehen werden muss.

Wir begannen uns stattdessen umso mehr für die materiellen Bezüge sowie die kulturellen Bedeutungen der Farbwörter zu interessieren und haben uns damit einen faszinierenden und selten geprobten Blick auf andere Kulturen erschlossen. Gerade aus den Farbbezeichnungen und den damit beschriebenen Phänomenen lässt sich oftmals Überraschendes über eine Kultur lernen – was weit über das bloße „abstrakte Farbempfinden“ hinausgeht.


Federgeld, mangahau. Santa-Cruz-Inseln, Salomonen, Melanesien. Federn des kleinen Honigfressers (Myzomela Cardinalis), Rinde, Schmuckanhänger aus Samenkapseln. Gesammelt von Volker Schneider, 1980er Jahre. Sammlung Weltkulturen Museum. Foto: Wolfgang Günzel

Das Farbwort kura bezeichnet z. B. in den polynesischen Sprachen den Farbeindruck, den wir im Deutschen am ehesten mit „Rot“ übersetzen würden, zugleich bedeutet es aber auch Freude, Fest sowie Zeremonie und ist zugleich die Bezeichnung für den Halsschmuck aus roten Pandanuskernen, der bei diesen zeremoniellen Anlässen getragen wird. Es steht für rote Farbstoffe, u. a. aus roter Vulkanerde, ebenso wie für rote Federn – traditionelle Wertmesser und Statussymbole. Kura bezeichnet sowohl materiellen Reichtum und Wertgegenstände als auch das geheime Wissen um das Schöpfungsgeschehen und die Taten der Götter. Das Versammlungshaus der neuseeländischen Maori – das whare kura (wörtlich: das rote Haus) – ist der Ort, in dem das sakrale Wissen an die nächste Generation weitergegeben wird. Heute ist es aber auch die ganz profane Bezeichnung im Maori für „Schulgebäude“.

Wir haben uns von diesen Überlegungen zu den tiefergehenden Bedeutungen der Farbwörter für die Ausstellung „Grüner Himmel, blaues Gras“ inspirieren lassen und einen ganz eigenen „Feldversuch“ unternommen – in Anlehnung an die Erhebungen der Sprachwissenschaftler und Ethnologen. In der Ausstellung haben wir eine Mitmachstation aufgebaut. Dort findet man eine Auswahl von Farbkarten aus der Munsell-Farbskala und kann seine eigenen, ganz individuellen Assoziationen zu den einzelnen Farbtönen auf diesen Karten festhalten, ebenso wie die Sprache aus der das Farbwort stammt.



Farbkarten in der Ausstellung. Foto: Peter Wolff


Ein Blick auf die bisher hinterlassenen Farbwörter in der Ausstellung zeigt eine ausgesprochen phantasievolle und manchmal poetische Farbwahrnehmung unserer Besucherinnen und Besucher: Welche Farbeindrücke sind wohl jeweils mit diesen Farbwörtern gemeint? Und welche Farbeindrücke würden Sie mit diesen Farbwörtern verbinden:

Anfangsgrün, Altrosa, Hokaido fresh, Lichtblau, Vergissmeinnicht-Blau, Amethyst, Flieder, Coralle, Universumsblau, die Farbe reifer Orangen, Flamingofarben, Farbe der Hoffnung, Popelgrün, Ferkel, das Tiefe Meer vor einem Regensturm, zermatschte Brombeere, Dinosauriergrün, Tante Christiane, Sommerwaldgrün, Stimmungsblau, kühle Beere, marokkanisches Wüstensandorange, Rot in meinem ersten Wasserfarbkasten, Gewitterblau, meine Lieblingsfarbe…?

 


Bio
Matthias Claudius Hofmann studierte Ethnologie und Religionswissenschaft in Göttingen, Apia (Samoa) und Wellington (Neuseeland). Seit 2018 betreut er am Weltkulturen Museum als Kustos die Sammlung Ozeanien. Sein Forschungsinteresse gilt der Ethnografie Polynesiens mit besonderer Berücksichtigung Samoas, der materiellen Kultur und oralen Tradition dieser Region, der ethnologischen Objektforschung und jüngst auch der Ethnologie der Farbe. Er ist Hauptkurator der aktuellen Sonderausstellung „Grüner Himmel, Blaues Gras. Farben ordnen Welten“.

Der Artikel ist in der Ausgabe 05 der Weltkulturen News erschienen: