INTERVIEW MIT ALAIN LECANTE

Stilelemente von Reggae und internationaler Pop-Musik verbunden mit traditionellen Rhythmen, Musikstilen und Instrumenten – das ist der Sound der Kaneka-Musik. Von kanak, der Eigenbezeichnung der kulturell und sprachlich sehr diversen Indigenen Gruppen Neukaledoniens, leitet sich der Name des Musikstils ab. Kanakische Musiker*innen kreierten ihn in den 1980er Jahren um den Unabhängigkeitskampf auf der Inselgruppe voranzutreiben, die damals wie heute – nach mehreren Unabhängigkeitsreferenden – als Überseegebiet zu Frankreich gehört. Alain Lecante ist Musikproduzent und Gründer des Labels Mangrove Productions und damit von Beginn an Akteur und Beobachter der Kaneka-Bewegung. Er spricht im Interview über Anfänge, den politischen Hintergrund der Musik, Herausforderungen der Digitalisierung und seinen persönlichen Lieblingsklang.

 

Jan Philipp Kluck: Ihr 1989 gegründetes Label gilt als ein wichtiger Akteur in der Entwicklung der Kaneka-Musik. Können Sie uns etwas über die politischen und künstlerischen Umstände dieser Zeit in Neukaledonien erzählen?

Alain Lecante: Die erste Veröffentlichung des Labels erfolgte einige Wochen vor der Ermordung des Kanak-Führers Jean-Marie Tjibaou, und wir waren das erste Plattenlabel, das Kaneka-Musik vermarktete, obwohl einige der Lieder sehr politische Texte hatten. Die Gründung eines Musiklabels war eine Herausforderung, weil die lokale Musikindustrie damals noch sehr klein war. Es gab nicht so viele Möglichkeiten, Musik aufzunehmen und zu vertreiben. Nachdem die Zeit der Unruhen 1988 mit dem Matignon-Abkommen [Dieses Abkommen gewährte Neukaledonien mehr Autonomie und sah u.a. ein Referendum über die Unabhängigkeit vor; JPK] zu Ende war, ging es los, und wir waren Teil dieser bahnbrechenden Ära: Die Musik Neukaledoniens, insbesondere die Kaneka-Musik, brachte so viele Talente hervor und fand mit Künstlern wie Pedro und Gurejele sowohl im Land als auch in der ganzen Region ihr Publikum.

 

JPK: Welche Rolle spielen die Rindenklappern und ihr Rhythmus für diesen Musikstil? Haben Sie eine symbolische Bedeutung?

AL: Die Kaneka-Musik wurde 1986 nach einem Treffen mit Jean-Marie Tjibaou und den Künstler*innen der damaligen Zeit „geschaffen“. Der Kanak-Führer bat sie, ihre eigene Musik auf der Grundlage traditioneller Rhythmen zu schaffen, und Rindenklappern waren die wichtigsten Instrumente aus dem Norden der neukaledonischen Hauptinsel, die bei traditionellen Tänzen verwendet wurden. Sie wurden in der Regel zusammen mit „stampfendem Bambus“ gespielt, deren tiefer Bassklang sich gut zur Tanzbegleitung eignet. Diese Rindenklappern werden nicht auf den Loyalitätsinseln verwendet, sondern nur im Norden der Hauptinsel.

 

JPK: Welche Entwicklungen waren prägend für die Kaneka-Musik seit den 1980er Jahren und welche Veränderungen erwarten Sie in der Zukunft?

AL: Die Kaneka-Musik trug ab Anfang der 1990er Jahre sehr zur Entwicklung der gesamten Musikindustrie bei, da sie die meistgehörte Musik im Land wurde. Die Zahl der Konzerte und Musikveranstaltungen nahm in diesen Jahren stark zu, es wurden mehrere Kulturzentren gebaut, die Aufnahmestudios verbesserten ihre Ausrüstung, und es wurde eine Gesellschaft zur Verwertung von Urheberrechten (Sacenc) sowie ein Exportbüro (Poemart) gegründet. All dies trug dazu bei, dass sich die Musik innerhalb und außerhalb des Landes entwickelte. Doch wie überall auf der Welt muss auch die Musik heute mit der technologischen Entwicklung Schritt halten. In einem Land, in dem Musik viele Jahre lang zunächst auf Kassetten und später auf CDs gekauft wurde, verdienten die Künstler*innen den größten Teil ihres Einkommens mit deren Verkauf. Jetzt hat die Digitalisierung die gesamte Branche durcheinander gebracht: Es gibt keine Plattenfirmen mehr, die Alben produzieren, und die Künstler*innen müssen ihre Projekte selbst finanzieren. Mit den Budgets ist auch die Qualität gesunken und die Musikproduktion hat sich verlangsamt. Die Zukunft sieht für Kaneka-Musik nicht gerade rosig aus.

 

 

JPK: In der aktuellen Ausstellung sind Neukaledonische Rindenklappern ausgestellt, die seit über 100 Jahren in der Sammlung des Museums sind. Sie kamen in einem kolonialen Kontext nach Europa. Welche Bedeutung haben solche historischen Objekte für das Selbstverständnis der neukaledonischen Musikszene heute?

AL: Nun, die Menschen in Neukaledonien hatten keine Ahnung, dass es seit über hundert Jahren Rindenklappern in einem deutschen Museum gibt! Aber wir alle wissen, dass es weltweit zahlreiche Objekte gibt, und auch, dass einige davon in unser Museum hier oder in das Quai Branly Museum in Paris zurückgekommen sind. Die Rindenklappern sind heute Teil der Musikszene in Neukaledonien, so wie sie es in vorkolonialen Zeiten gewesen sein müssen, als Musik nur zur Begleitung von Tänzen verwendet wurde.

 

JPK: Zu guter Letzt: Haben Sie persönlich ein Lieblingsgeräusch oder eine Lieblingssoundscape, die Sie mit uns teilen möchten?

AL: Das Instrument, das ich bereits erwähnt habe, der stampfende Bambus, ist mein Lieblingsinstrument. Ich liebe den tiefen Bass-Sound. Es besteht normalerweise aus einem großen Bambus, dessen Nodien durchbohrt sind, und wird gespielt, indem man ihn auf den Boden stößt (am besten auf dichtem Gras). Das ergibt diesen erstaunlichen Klang.

 

JPK: Vielen Dank!



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