SHIPIBO-KUNST UND KULTURELLE ANEIGNUNG

Shipibo-Kunst und kulturelle Aneignung
Mona Suhrbier, Kustodin für die Amerikas, im Gespräch mit dem Indigenen Shipibo-Künstler Harry Pinedo.

Die Ausstellung „healing. Leben im Gleichgewicht“ präsentiert die Arbeit „Ayahuasca-Meditation“ von Harry Pinedo. Das Gemälde stellt unter anderem Verbindungen zwischen Chomos, den zeremoniellen Biertöpfen der Shipibo, Ayahuasca-Zeremonien, der Weltschlange Ani Ronin und den in Ayahuasca-Visionen gesehenen Mustern her. Zur Nacht der Museen eröffnet das Weltkulturen Museum im Labor, Schaumainkai 37, die Sonderausstellung „Shipibo Pot Stories“. In einer Multimedia-Installation des Künstlers René Appel wird ein Joni Chomo (Menschengefäß) der Shipibo-Töpferin Virgínia Maynas Piñon, ein mit einem menschlichen Gesicht verzierter zeremonieller Biertopf aus der Sammlung des Weltkulturen Museums, durch digitale Animation zum Leben erweckt und erzählt eine Geschichte. Harry Pinedo hat René Appel beraten und seine eigenen Zeichnungen und Bilder zur Präsentation beigesteuert.


Animationsskizze von René Appel mit dem Gemälde „La Meditación del Ayahuasca“ von Harry Pinedo und einem joni chomo von Virginia Maynay Pinon, 2023 

Mona Suhrbier: Was ist aus deiner Sicht interessant an diesem Projekt?
Harry Pinedo: Für mich persönlich ist dieses Projekt aus folgenden Gründen sehr wichtig:
1. Es trägt zur Bewahrung unserer Shipibo-Konibo-Kultur bei. Dazu gehört traditionelles Wissen, wie es in der Keramik der Chomo Ainbo (mythische Tonfrau) vermittelt wird. Die Keramik visualisiert Mythen in den Kené genannten Mustern. Sie lehrt uns die Geschichte und den Ursprung der Natur.
2. Das Publikum aller Altersgruppen wird heutige Amazonas-Kulturen und deren Indigene Kunst kennen lernen. So werden die Traditionen, Philosophie und Kunst der Shipibo aufgewertet.
3. Das innovative Projekt verbindet Indigene Künste mit zeitgenössischer digitaler Kunst: die traditionelle Töpferei von Virgínia Piñon, meine Malerei und die digitale Animation von René Appel.
4. Schließlich ist für mich das Wichtigste, dass unsere Shipibo-Kultur in der Welt sichtbar ist, dass sie geschätzt, respektiert und bewahrt wird. Die Kreativität und ernsthafte Arbeit des jungen Künstlers René Appel trägt dazu bei.


Auszug aus der digitalen Animation „Shipibo Pot Stories. Muster des Universums" von René Appel

MS: Wie hast du deine Rolle in diesem Projekt empfunden?
HP: Das Projekt bewegt mich sehr und ich bewundere die künstlerische Arbeit von René Appel, dem es gelungen ist, die spirituellen Aspekte der Shipibo-Konibo-Kultur wertschätzend zum Ausdruck zu bringen. Ich bin dankbar und erfreut, wie er unter Einbeziehung meiner Werke die Weltanschauung der Shipibo-Konibo mit digitalen Werkzeugen für Präsentationen in Museen und Kunstgalerien aufbereitet hat. 

MS: Einige Shipibo sagen, dass die Zerstörung der Umwelt zu Störungen oder Beschädigungen auch der spirituellen Muster führt. Was muss aus deiner Sicht geschehen, um die Muster der Welt wieder zu heilen?HP: Meiner Meinung nach muss die alte und die neue Kené-Musterkunst der Shipibo weiterhin anthropologisch, historisch und künstlerisch erforscht werden. Dies sollte immer unter der Obhut der weisen Shipibo-Männer und -Frauen geschehen, damit die spirituellen Muster und mit ihnen verbundene Praktiken nicht verloren gehen. In Schulen, Museen, Kunstgalerien und im öffentlichen Raum soll das kulturelle Erbe der Shipibo-Konibo-Nation gepflegt und an die jeweils neuen Indigenen und nichtindigenen Generationen vermittelt werden. Denn es geht darum, die Energie unserer Vorfahren kennenzulernen und zu teilen.

MS: Wie stehst du dazu, dass Shipibo-Keramiken in westlichen Museen aufbewahrt und ausgestellt werden?
HP: Meiner Meinung nach ist die mit eigener Weltanschauung und Sprache verbundene Töpferkunst unserer Großeltern und auch die aktuelle am Fluß Ucayali weltweit bekannt. Sie ist Teil der lebendigen Kultur des peruanischen Amazonasgebiets und Lateinamerikas. Es ist sehr wichtig, sie zu erhalten und sichtbar zu machen. Deshalb war ich sehr glücklich, diese Keramiken im Weltkulturen Museum zu sehen. Sie haben eine lange Geschichte, da unsere Großmütter sie von Hand herstellten, um Masatos (Maniokbier) für das große Ani Xeati-Fest zuzubereiten. Als Shipibo-Künstler bin ich froh, dass diese Keramiken in den besten Museen der Welt, so auch im Weltkulturen Museum in Frankfurt, ausgestellt, studiert und geschätzt werden wie Skulpturen und Keramiken der Ägypter, Römer oder Griechen. Ich wünsche mir, dass man der Shipibo-Kunst den gleichen Wert beimisst.

Joni Chomo. Virgínia Maynas Piñon. Gesammelt von: Johann Willig, 1988, Sammlung Weltkulturen Museum. Foto: Wolfgang Günzel

MS: Hältst du es für eine Form "kultureller Aneignung", wenn Nichtindigene über Shipibo-Themen sprechen?
HP: Meiner Meinung nach handelt es sich nicht um kulturelle Aneignung, wenn das Wissen unserer Vorfahren und aktuelles Wissen der Shipibo in einem westlichen Land wie Deutschland verbreitet und geteilt wird, sondern um eine Form des Dialogs und des Verständnisses. Es geht darum, mit Empathie ein ausgewogenes Zusammenleben mit anderen Kulturen zu ermöglichen und Indigene Sprachen, Weltanschauungen und Geschichte zu respektieren. Dabei müssen wir sehr vorsichtig sein und sicherstellen, dass nichtindigene Menschen Wissen teilen und Traditionen respektieren, ohne die Inhalte der Shipibo-Kosmovision zu verfälschen. Der Fehler, den Nichtindigene machen könnten, ist, Dinge Indigener Autorenschaft als ihre eigenen zu verkaufen, oder, noch krasser, zu patentieren, ohne einen Dialog zu führen. Viele Shipibo sind darüber verärgert und betrachten dies als Diebstahl oder kulturelle Aneignung. Wir können solche Ungerechtigkeiten verhindern, wenn wir die künstlerischen Werke von Indigenen und Nichtindigenen gleichermaßen schätzen und respektieren. 

MS: Wie sollte deiner Meinung nach eine angemessene Beteiligung aussehen?
HP: Im 21. Jahrhundert sollten alle an Dialogen über lebendige Kulturen teilnehmen. Indigene Autor*innen sollten in Kunst- und Kulturprozessen als aktive Teilnehmer*innen eingeladen werden, wie es das Weltkulturen Museum beispielsweise tut. Gemeinsam mit Indigenen sollten Menschen aus dem Westen einen guten Dialog führen, um Indigene Geschichte, Kunst und Tradition kennenzulernen und sie auch in Europa in Schulen und Universitäten zu vermitteln. Nicht nur die Ästhetik und die vermeintlich exotische Kultur, sondern auch die sozialen und politischen Probleme sind zu erörtern, die derzeit das Leben Indigener Gemeinschaften im Amazonasgebiet beeinträchtigen, die für ihre Rechte auf ihrem eigenen Land oder in ihrem eigenen Lebensraum kämpfen. Sie brauchen internationale Unterstützung auf der Suche nach angemessenen Lösungen, die die Erhaltung Indigenen Wissens, auch über die heute gefährdete Natur, berücksichtigen. Abschließend möchte ich mich bei Dr. Mona Suhrbier, Alice Pawlik und dem Team des Weltkulturen Museums bedanken.




BIO

Harry Pinedo (*1988) ist Lehrer und bildender Künstler. Er lebt in Lima. Mit Indigenem Shipibo-Namen heißt er Inin Metsa (Duftende Blätter). An der Universidad Peruana Cayetano Heredia erwarb er den Bachelor im Studiengang Educacion Intercultural Bilingue (Interkulturelle zweisprachige Bildung). Wie seine Eltern, Elena Valera (Bahuan Jisbe) und Roldán Pinedo (Shoyan Shëca), widmet sich auch Harry Pinedo seit Abschluss der Sekundarschule der Malerei. Pinedo präsentiert seine Bilder jährlich auf der Volkskunstmesse des Kulturministeriums Rurak maki. Seit 2010 nimmt er an Kollektiv- und Einzelausstellungen teil u.a 2013 MIRA! - Artes Visuales Contemporáneas de los Pueblos Indígenas in Belo Horizonte, Brasilien, 2017 El esplendor de Yanapuma im Centro Colich de Barranco in Lima sowie 2022 New Generation in der Galerie Maggy Stein in Luxemburg.  



Dieses Interview ist in der Weltkulturen News #8 erschienen, die Sie hier abonnieren können