VON WELCHER WELT ERZÄHLEN KINDERBÜCHER?

Eine Annäherung an diskriminierungs- und diversitätssensible Kinderliteratur
von Stephanie Endter, Leitung Bildung und Vermittlung

„Als ich mit sieben Jahren anfing zu schreiben (…) waren alle meine Charaktere weiß und blauäugig, sie spielten im Schnee, sie aßen Äpfel“ erzählt die Autorin Chimamanda Adichie in ihrem Vortrag „Die Gefahr einer einzigen Geschichte“ (1). Die Schwarze Autorin wuchs in Nigeria auf, hatte niemals Schnee gesehen und aß anstatt Äpfeln Mangos, aber sie erschuf ihre Hauptpersonen und Handlungen in ihren ersten Geschichten genau nach den Vorbildern, die sie in der britischen Literatur las. Ihre Lebensrealität fand keinen Platz in diesen Büchern. Das zeigt, wie beeinflussbar gerade Kinder durch Bücher sind. Bücher sind eine wunderbare Möglichkeit für Kinder und Jugendliche die Welt kennenzulernen, den eigenen Horizont zu erweitern und verschiedene Lebensrealitäten zu erfahren. 

Foto: Peter Wolff 


Bücher, die Diversität abbilden und frei von Klischees, abwertenden Darstellungen und Auslassungen sind, tun dies am besten. Sie können „Klischees und stereotype Bilder irritieren und ihnen so entgegenwirken. Sowie eine Gleichberechtigung und Bestärkung verschiedener Identitäten fördern und dazu inspirieren, kritisch über Ungerechtigkeit und Diskriminierung nachzudenken und dagegen aktiv zu werden“ (2). 

Foto: Peter Wolff


Es gibt eine wachsende Anzahl diversitätssensibler Kinderbücher (3), allerdings reproduzieren viele Bücher auch immer noch eine einseitig dominante Sichtweise auf die Welt. Daher ist es wichtig, dass sich diejenigen, die Kindern Bücher vorlesen, mit den Inhalten kritisch auseinandersetzen. Es wurden bereits verschiedene Fragekataloge entwickelt, die hierbei helfen können (4). Einige Fragen seien an dieser Stelle herausgegriffen:

Was wird gezeigt – was fehlt? 
Wer ist die Hauptfigur?
Sind die Hauptfigur und/oder andere handelnde Charaktere Schwarze, Indigene oder People of Color?
Haben sie verschiedene Geschlechtsidentitäten, sozialen Status, Be_hinderungen? (5)
Werden in Handlungen stereotype Rollenmuster aufgebrochen?
Werden verschiedene Familienkonstellationen gezeigt?
Wie selbstverständlich ist es, verschieden zu sein?
Werden auf der visuellen Ebene Stereotype bedient?
Wird rassistische Sprache verwendet?
Kann sich jedes Kind das Buch ansehen ohne Gefahr zu laufen verletzt zu werden?


Foto: Peter Wolff


Bücher können Kinder stärken, wenn sie sich darin wiederfinden und positiv mit den dargestellten Personen identifizieren können. In der Weltkulturen Bibliothek wurde über die letzten Jahre ein umfangreicher Bestand an diversitätssensiblen Kinderbüchern aus vielen verschiedenen Ländern zusammengetragen. Die Weltkulturen Bildung und Vermittlung nimmt diese Sammlung als Grundlage für Workshops, in denen Kinderbücher kritisch betrachtet werden. So waren im Rahmen einer Kooperation mit den Beruflichen Schulen Berta Jourdan in Frankfurt im Dezember angehende Erzieher*innen im Museum und haben sich intensiv mit Sprache und Repräsentation in Kinderbüchern auseinandergesetzt. In einem weiteren Treffen beschäftigten sie sich unter Anleitung von Rosa Schreieck und Lydia Ernst mit verschiedenen Diskriminierungsformen und hinterfragten daraufhin verschiedene Kinderbücher.

Wenn Sie Interesse an einem Workshop zu diversitätssensibler Kinder- und Jugendliteratur haben oder auch mal durch die Bücher stöbern wollen, dann melden Sie sich unter: 

 



(1) Chimamanda Adichie: Die Gefahr einer einzigen Geschichte - YouTube

(2) Kriterien und Achtungszeichen – Meine Kinderbücher (xn--meinekinderbcher-uzb.de)

(3) Weitere Büchertipps finden Sie u.a. auf:
buuu.ch • Diverse Kinderbücher
Bücher I Bücher für Kinder aller Hintergründe (tebalou.shop)

(4) Es gibt viele online verfügbare Fragekataloge für Kinderbücher: Vgl. https://situationsansatz.de/wp-content/uploads/2019/11/Checkliste-Kinderbücher.pdf

https://i-paed-berlin.de/wp-content/uploads/intersektionale_kinderbuchliste.pdf

(5) Nicht der Norm entsprechend, wie z.B. männlich, weiß, nicht behindert, cis-geschlechtlich, heterosexuell, erwachsen, gesund, christlich, Pass-deutsch




Der Artikel erschien in der WELTKULTUREN NEWS 06 "Hinterfragt", die Sie kostenfrei hier bestellen können:

Foto: Peter Wolff