INTERVIEW MIT KLANGKÜNSTLER LASSE-MARC RIEK

"Mit den Ohren sehen": Klangkünstler Lasse-Marc Riek über seine Arbeit mit Soundscapes und seine Leidenschaft, der Welt zuzuhören

Für die Ausstellung „Klangquellen. Everything is music!“ hat Lasse-Marc Riek einen Hörraum eingerichtet, der den Besucher*innen den Begriff der Soundscapes und gleichzeitig das aufmerksame Zuhören näherbringen soll. Was ist ein Soundscape eigentlich und wie kann man damit künstlerisch arbeiten? Wir haben Lasse-Marc Riek zum Interview getroffen.

Weltkulturen Museum: Als Klangkünstler setzt du dich immer wieder mit dem Konzept der Klanglandschaft bzw. der Soundscape auseinander. Kannst du uns in drei Sätzen erklären, was der Begriff Soundscape meint?

Lasse-Marc Riek: Ein Soundscape oder übersetzt Klanglandschaft ist das Zusammenspiel aus allen Geräuschen, die an einem Ort, in einem Raum oder in einer Landschaft zu hören sind. Je nach Situation und Lage finden wir im Moment der Wahrnehmung Geräusche aus Wetterphänomenen sowie Sozial- und Funktionslaute der Tierwelt und der Menschen.

WKM: Du beschäftigst dich auch mit Bioakustik – was ist das genau? Kannst du uns ein Beispiel nennen?

Lasse-Marc Riek: Die Bioakustik ist ein Fachbereich aus der Biologie zur Erforschung von Tierstimmen. Erste Aufnahmen wurden Anfang des 20. Jahrhunderts erstellt und werden seitdem in Archiven organisiert. Durch diverse umfangreiche Tonarchive kann das Verhalten der Lebewesen studiert und kommuniziert werden. Die Weiterentwicklung der Aufnahmetechniken macht es möglich, die Geräusche der kleinsten Insekten, Säugetiere, Amphibien und Vögel aufzuzeichnen. Somit können wir zum Beispiel Signale aus dem nichthörbaren Bereich wie Warnlaute von Elefanten im Infraschallbereich oder Jagdlaute von Fledermäusen im Ultraschallbereich hörbar machen. Durch Sensoren und Unterwassermikrophone können wir das Balzverhalten von Insekten unter dem Wasser oder in der Erde aufnehmen, durch Parabolspiegel-Mikrofone Tiere aus weiter Ferne belauschen oder Langzeitaufnahmen durch sogenannte winzige Standalone-Rekorder in der Umwelt festhalten.



WKM: Wie bist du dazu gekommen, dich so intensiv mit den Klängen der Umgebung auseinanderzusetzen? Was fasziniert dich so besonders an Soundscapes, Bioakustik und Alltagsklängen?

Lasse-Marc Riek:
Als Kind kam ich durch einen Zufall zum bewussten Hören. Im Alter von 14 Jahren war ich mit einem guten Freund am Ende des Tages zu tief in den nahegelegenen Wald gelangt und wir vergaßen die Zeit. Es wurde schnell dunkel, sodass wir es erst realisierten, als es schon zu spät für eine sichere Heimkehr war. Nach den ersten Schockmomenten wurde mir klar, dass es nur über das Hören einen Ausweg geben konnte. Also versuchten wir, die Umgebung mit Hilfe unserer Ohren zu analysieren. Nach einer Weile hörten wir ein einzelnes Auto und dann Weitere in der Ferne. Stück für Stück näherten wir uns im Hören der Straße, die uns dann nach einer längeren Wanderung nach Hause führte. Seit diesem Ereignis wuchs meine Leidenschaft, der Welt zuzuhören und in mich selbst hineinzuhören.

WKM: Wie kommst du an deine Klangaufnahmen? Hast du immer ein Aufnahmegerät dabei oder gehst du gezielt raus und suchst nach geeigneten Orten oder Situationen?

Lasse-Marc Riek: Den Zugang zu den Klangorten und Situationen erarbeite ich mir auf unterschiedliche Art und Weise. Die Aufnahmen entstehen sowohl geplant als auch zufällig. Es gibt Landschaften und Gegenden, in denen wir ein hohes Aufkommen an Lebewesen aller Art feststellen können. Im Meer, am See oder im Gebirge finden sich zu verschiedenen Tages- und Jahreszeiten unterschiedliche Klangsituationen, auf die ich mich durch Recherche und Planung vorbereiten kann. Je nach Situation, Auftrag oder Konzept wird das Aufnahme-Setup vorbereitet. Für spontane Aktionen funktionieren kleine mobile Rekorder gut, die sofort einsatzfähig sind. Für groß angelegte und geplante Aufnahmesets können schon mal ein paar Kisten mit unterschiedlichster Aufnahmetechnik zum Einsatz kommen, wie z.B. Stereo-, Richt- und Parabolspiegel-Mikrophone oder Kontaktmikrophone, Sensoren, Ultraschalldetektoren und Hydrophone für Unterwasseraufnahmen.



WKM: Was ist die schönste Soundscape, die du persönlich je gehört hast?

Lasse-Marc Riek: Eine gute und schwere Frage zugleich. Nach so vielen Jahren des Hörens und Lauschens geht es mir weniger um das beste oder schönste Geräusch, sondern eher um die Wahrnehmung selbst und die daraus resultierende Erfahrung. Auch wenn es bei mir beruflich oft um die Frage der Verwertbarkeit geht, versuche ich weiterhin, jeden dieser kostbaren Momente ganzheitlich zu erleben, ob im Feld oder im Studio.


BIO Der Hanauer Klangkünstler Lasse-Marc Riek setzt sich mit Soundscapes bzw. Klanglandschaften auseinander. Neben Feldaufnahmen arbeitet Riek auch im Bereich der Bioakustik und der Soundscape-Komposition. Seit 1997 beteiligt er sich auf internationaler Ebene an Ausstellungen, Konzerten und Kunstprojekten. Hinzu kommen zahlreiche internationale Veröffentlichungen z. B. für den Hessischen Rundfunk, Arte und die BBC.


Hörbeispiel "Eiserner Steg" aus dem Hörraum 1 von Lasse-Marc Riek (2023): Klanglandschaften


Das Interview findet ihr ebenfalls auch in der Weltkulturen NEWS #9!